Kulturelle Aneignung oder multikulturelle Tradition? – Die Antwort finden wir in der Geschichte.

Offiziell in den Westen kam Yoga um das 20. Jahrhundert. Doch der Westen kam lange davor zum Yoga:

In der Antike wurde Handel zwischen Ost und West betrieben, mit einem bedeutendem Knotenpunkt im damaligen Konstantinopel. Neben Händlern bereisten Abenteurer und Seefahrer das Morgenland. So wie auch Marco Polo im 13. Jahrhundert die indische Westküste bereiste. Die Spanier und Portugiesen machten sich im 16. Jahrhundert auf die Suche nach einem Seeweg nach Indien. Und um noch einmal die größten Irrtümer der menschlichen Evolution aufzurollen: Weil Wissenschaftler entgegen der Lehrmeinung der Kirche überzeugt waren, die sei Erde eine Kugel, probierten sie es sowohl in östlicher als auch westlicher Richtung.

 

Es wäre Töricht anzunehmen, dass neben Gewürzen und Edelsteinen nicht auch ein Kulturaustausch stattgefunden hätte.

 

Marco Polo beschreibt in seinem Buch der Wunder nackte Männer, die sich weder rasierten noch die Haare schoren. Sie aßen bescheiden und wurden ihm zufolge viel älter als der durchschnittliche Mensch. Sie leben ein harsches und asketisches Leben, betteln und nehmen Schmerzen auf sich, um das Leiden anderer Lebewesen zu vermeiden. Sie glauben, allem wohne eine Seele inne. Er spricht von manchen entsagenden Mönchen unter ihnen. Er bezeichnet sie aber auch als Götzenanbeter und stur.

Nicht alle Entdecker waren den vorherrschenden Kulturen und Traditionen gegenüber offen. Die Eroberer der Meere wurden ausgeschickt, um neue Schätze zu entdecken und die Vormacht ihrer Heimat zu stärken.

 

Kulturelle Aneignung: Britisch Indien und der westliche Einfluss auf Yoga

 

Die britische Kolonialmacht ließ der indischen Kultur kaum Luft zu Atmen. In dem Glauben, die Weisheit mit Schiffen gebracht zu haben, haben sie zwischen 1858 und 1947 das Land ausgebeutet und die Menschen in Hunger, Armut und Streit getrieben.

 

Es wäre also genau so töricht zu glauben, Britisch-Indien hätte keine Spuren hinterlassen.

 

Das indische Volk wurde als schwach angesehen und die Männer als verweichlicht. Wer sich in ungewöhnliche Körperhaltungen verbog und gegen ein Bettelgeld Straßentricks anbot galt als Yogi und Fakir. Der Außenstehende schien da keinen großen Unterschied zu machen.  Kompliment war es aber so oder so keines.

 

„Spott, Ablehnung und unverhüllte Verurteilung war das Los der Suchenden auf dem Yoga Weg.“
~ BKS Iyengar, Licht fürs Leben

 

Yoga – oder das, was als solches wahrgenommen wurde – entwickelte sich so von seinen Ursprüngen in der Philosophie der ersten Jahrtausendwende http://marlenschinko.com/patanjali

über den tantrisch inspirierten körperlichen Weg des Mittelalters langsam hin zu einem vermarktbaren, wenn auch abgeschätzten, Körperkult.

 

Der schlechte Ruf des Yogi

 

Generell schien bei den Yogis des 19. Und 20. Jahrhunderts von Dieben, Lumpen und Zirkusnummern die Rede. Mark Singleton beruft sich in seinem wissenschaftlichen Buch Yoga Body auf zahlreiche Überlieferungen aus dieser Zeit. Gesprochen wird hier aber wohl nicht von jenen Yogis, die ernsthaft den Weg zur Erleuchtung suchten oder gar von einem der wenigen Gurus der letzten Jahrhunderte. Gesprochen wird von zerflederte Männern, die am Straßenrand bettelten und dafür allerhand Kunststücke und Tricks zur Schau stellten. Es waren vor allem Söldner, durch Askese trainierte Männer. Sie waren nur leicht bekleidet und bewaffnet Stöcken (aber auch Keulen, Dreizacke und Feuerzangen) bildeten sie ganze Armeen, die bekannt für ihre Furchtlosigkeit waren. Sie waren selbst in Friedenszeiten keine gebetenen Gäste und verdienten sich, durch die brititsche Besatzung weitgehend entwaffnet, beim Betteln mit ihren Tricks.

Wohlhabende Europäer (und später auch indische Machthalter) ließen sich durch Yoga (und Fakir-) Demonstrationen unterhalten und Fotos von erstaunlichen Körperhaltungen wurden als Sammlerstücke gehandelt und in den ersten Printmedien zur Schau gestellt.

Vielleicht lehnte Swami Vivekananda den Körperkult deshalb so vehement ab. Und tatsächlich war das, was der Großteil der Europäer in der Kolonialzeit zu sehen bekam, fernab des Yoga Weges gewesen. Aber auch Vivekanandas Lehren waren moderne Interpretationen der alten, indischen Texte. Mit seinen Worten über Nächstenliebe schien er eine tiefe Sehnsucht in den Menschen zu treffen.

Über kulturelle Aneignung hat sich Vivekananda bestimmt keine Sorgen gemacht. Er überbrückte die Gegensätze des spirituellen Ostens und des materiellen Westens. Natürlich präsentierte er die wunderbare Kultur seiner Landsleute. Aber doch wohl nicht um zu prahlen.

Es ging im darum, die Menschen einander näher zu bringen. Es ging ihm darum, Fanatismus und Feindseligkeit beiseite zu schaffen und einen gemeinsamen Nenner zu finden. Vivekanandas Denkweise scheint heute aktueller denn je. Gier und fanatische Gewalt sind nicht neu. Sie haben bloß neue, kriegerische Formen angenommen.

 

Die erste Demokratische Partei und Freiheit für Indien

 

Materielle und kulturelle Enteignung waren nicht selten in der Geschichte der Menschheit. Auch das ehemalige Britisch Indien kann ein Lied davon singen, wie wir gesehen haben. Aber nicht alle versuchten ihre Sichtweisen und Werte aufzudrängen.

Europäer wie die englische Theosophin Annie Besant und der schottische Theosoph (und Ornithologe) Allan Octavian Hume setzten sich für die indische Kultur und ihre Freiheit ein. Letzterer war Mitgründer des Indischen Nationalkongress, eine der ersten Demokratischen Parteien und bis heute eine der beiden größten Parteien Indiens. Mahatma Gandhi und seine Nachkommen standen zu ihrer Zeit ebenfalls an der Spitze der Partei und setzen sich erfolgreich für ein unabhängiges und starkes Indien ein.

 

Alles nur geklaut oder grenzenlose Wahrheit? 

 

Das schlechte Gewissen der Ausbeutung plagt viele Westler bis heute und ist sogar im Yoga präsent: Vielen scheuen sich davor, der kulturellen Aneignung schuldig zu sein und die Tradition durch das falsche Yoga zu verwaschen.

Tatsächlich wurden aus diesem Grund an einer kanadischen Universität 2015 die kostenlosen wöchentlichen Yoga Kurse vom Lehrplan ausgeschlossen. Die Entscheidung wurde vom Zentrum für Studenten mit Behinderung der University of Ottawa getroffen. Es hieß in einer Stellungnahme per E-Mail, dass die westliche Vormachtstellung die indische Kultur ausbeutet und erläutert dies hinsichtlich der Kolonialzeit und des Genozids als inakzeptabel. (Myth Busters Anmerkung: wie anmaßend). Die Yogalehrerin schlug vor, den Kurs Achtsames Dehnen zu nennen, doch der Kurs blieb gestrichen. Vielleicht weil Achtsamkeit ein buddhistisches Konzept (Mindfulness) ist? – Doch Sarkasmus wird solche Kontroversen wohl nicht heilen.

In der Online Ausgabe der Times Of India regte sich unter diesen Schlagzeilen niemand mehr über die Vergangenheit auf. Sie sehen die Problematik im Ist Zustands (Myth Busters Anmerkung: …und sind damit viel mehr Yogi und Mindful als der vormächtige Westen).

Oder wie Yogis sagen würden: Im Hier und Jetzt, dem einzigen Punkt auf dem Raum-Zeit-Kontinuum, an dem wir tatsächlich Veränderung bewirken können.

Ein Inder kommentiert, dass es auch Landsleute gäbe, die westliche Kultur ablehnen und ruft zur Offenheit auf. Ein anderer meint zynisch, dass Kanadier nun mit Pakistanis verwechselt würden. Der letzte erklärt wirtschaftlich nüchtern, dass gratis Angebote nie respektiert werden und deshalb Geld verlangt werden muss.

 

So unterschiedlich die Menschen im außen sein mögen, so sehr gleichen sie sich im Kern. So unterschiedlich der Weg scheint, so sehr eint uns das Ziel.

 

Goethe, Schoppenhauer, Humboldt, Einstein und Hesse … Die großen Philosophen, Dichter und Wissenschaftlern waren begeistert von der Bhagavad Gita. Ein Teil dieser Inspiration lebt auch in ihrer Arbeit weiter. Die Quintessenz aber haben wir bis heute nicht verstanden.

Noch immer wird über das wahre Yoga und seine Urheberschaft – und damit indirekt auch über kulturelle Aneignung –  diskutiert. Dabei sollte bis jetzt klar sein, dass sich selbst diese einzelne Tradition entwickelt hat. Diese letzte große Veränderung legte die Weichen für das Yoga, wie wir es heute kennen und seinen Boom.

In den letzten Artikeln über das Wahre Yoga und die Yoga Geschichte, erfährst du, wie Yoga zu dem wurde, was wir heute kennen und wir sprechen darüber, ob der Boom die Lehre verrät. Aber vorher wollen wir uns noch ein wenig unterhalten über Vivekananda, einem der ersten großen Yoga Speaker im Westen des späten 19. Jahrhunderts.

 

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Hier geht’s zum neunten Artikel der 10-teiligen Artikel Serie zur Yoga Geschichte und der Myth Busters Frage nach dem einzig wahren Yoga. 

Bis 11.02.2020 erscheint immer Dienstags ein Beitrag der zehnteiligen Myth Busters Artikel Serie zum Thema Yoga Geschichte und dem einzig wahren Yoga . Hier der Überblick:

Yoga Geschichte über das einzig wahre Yoga

Die Veden und das Reich der Yoga Mythen

Die Bhagavad Gita und deine ganz persönliche Schlacht

Urgroßvater Patanjali und die Wiege des Modernen Yoga

Tantra Yoga und die Wiege des Hatha

Alles Yoga nur geklaut? Multikulturelle Tradition oder kulturelle Aneignung

Vivekananda – Internationaler Yoga Speaker des späten 19. Jahrhunderts

Krishnamacharya: Der Vater des Modernen Yoga

Yoga Wirtschaft: Ein Geschäft mit der Wahrheit oder den Moneten