Seele, was ist das überhaupt?! – Nicht nur heute stehen höchstens vage Vermutungen dazu im Raum. Seit jeher scheint ein Streit der Begrifflichkeit zu herrschen. Man war sich über die Jahrhunderte wohl höchstens einig, dass man sich nicht einig ist. Ich lade dich ein auf eine kleine Reise von den ersten yogischen Texten, zu Plato, Goethe, den Goa’ulds und einigen großen Wissenschaftlern von heute.

Körper, Geist und what?

In Yoga Büchern ist immer wieder die Rede davon, Körper, Geist und Seele in Einklang zu bringen. Yoga ist Balsam für Körper und Köpfchen, das ist klar nachvollziehbar.  Der Körper beschreibt alles, was direkt oder indirekt berührt wird. Glasklar. Die geistliche Ebene beschreibt feinstoffliche Aspekte wie Gedanken. Wie eng beides ineinander geknüpft ist zeigen u.a. unsere Emotionen. Wir können Liebe verstehen, aber am Ende spüren wir sie mit jeder Phase unseres Körpers. Genau so verhält es sich mit der Angst und anderen grundlegenden Emotionen. Aber was bleibt da noch übrig, als SEELE? Ist es mit Körper und Geist untrennbar verbunden und verwoben oder gar etwas eigenständiges? Die Tatsache, dass wir die Seele nicht greifen können wie unser Mittagessen macht ihre Definition schwierig. Die mythischen, religiösen, philosophischen oder psychologischen Traditionen und Lehren finden daher unzählige Erklärungen und Auslegungen, die sich manchmal ergänzen und oft komplett entgegengesetzt stehen.

Nachgeschlagen: Die Seele

Der Duden bezeichnet die Seele als „Gesamtheit dessen, was das Fühlen, Empfinden, Denken eines Menschen ausmacht; Psyche“. Der Geist wird hier aber ebenfalls als „denkendes Bewusstsein, Verstandeskraft, Verstand“ und weiter als „Gesinnung; innere Einstellung, Haltung“ definiert. Recht weit liegen die beiden noch nicht auseinander.  Der Duden wartet aber noch mit einer zweiten Erklärung für die Seele auf:
substanz-, körperloser Teil des Menschen, der nach religiösem Glauben unsterblich ist, nach dem Tode weiterlebt.
Wikipedia schließt sich diesen Aussagen in etwas ausschweifenderer Form an: „Im heutigen Sprachgebrauch ist oft die Gesamtheit aller Gefühlsregungen und geistigen Vorgänge beim Menschen gemeint. In diesem Sinne ist „Seele“ weitgehend gleichbedeutend mit dem Begriff Psyche. „Seele“ kann aber auch ein Prinzip bezeichnen, von dem angenommen wird, dass es diesen Regungen und Vorgängen zugrunde liegt, sie ordnet und auch körperliche Vorgänge herbeiführt oder beeinflusst. Darüber hinaus gibt es religiöse und philosophische Konzepte, in denen sich „Seele“ auf ein immaterielles Prinzip bezieht, das als Träger des Lebens eines Individuums und seiner durch die Zeit hindurch beständigen Identität aufgefasst wird. Oft ist damit die Annahme verbunden, die Seele sei hinsichtlich ihrer Existenz vom Körper und damit auch dem physischen Tod unabhängig und mithin unsterblich. Der Tod wird dann als Vorgang der Trennung von Seele und Körper gedeutet.“

Von der Seele und der Psyche

Dass die Seele tatsächlich nicht einfach nur der Psyche entsprechen kann, wird bei Goethe anschaulich, der in seinem Bühnenstück Iphigenie auf Tauris ausrufen lässt: „Und an dem Ufer steh ich lange Tage, das Land der Griechen mit der Seele suchend“. Selbst 238 Jahre nach der Uraufführung wäre für den heutigen Zuschauer „das Land der Griechen mit der Psyche suchend“ unpassend. Auch wenn die Übersetzung aus dem altgriechischen psychē so lauten mag. Das lässt darauf schließen, dass der Wortstamm für die heutige Bedeutung entweder überhaupt nicht relevant oder nur ein kleiner Teil der Wahrheit ist. Ein Blick auf die Sprachwurzel gibt Aufschluss darüber:
Das altgriechische Substantiv psychē hängt mit dem Verb psychein zusammen. Es steht für Atem und kann daher als der Hauch des Lebens verstanden werden.
Das Wort Psyche steht für Seele zwar im Duden, ist aber sehr viel sinniger in Bezug auf die ursprüngliche Bedeutung des Wortes – Atem – denn auf den das Wort selbst, aus dem es abgeleitet wird.

Platons Fürsorge der Seele

Während René Descartes sicher war, es handle sich bei der Seele um eine Besonderheit des Menschen, deren Funktion sich ganz und gar auf das Denken beschränke, schrieb Sokrates‘ Schüler Platon Menschen, Tieren und Pflanzen die selbe Seele in unterschiedlichem Gewand zu. Platon sieht die Fürsorge der eigenen Seele als oberste Aufgabe der Lebewesen, dies sei der Schlüssel zur Wahrheit:
Bester Mann, […] schämst du dich nicht, für Geld zwar zu sorgen, wie du dessen aufs meiste erlangst, und für Ruhm und Ehre, für Einsicht aber und Wahrheit und für deine Seele, daß sie sich aufs beste befinde, sorgst du nicht und hieran willst du nicht denken? ~ Apologie 29d-e
In der Antike wurde bereits sehr viel darüber diskutiert, dass die Seele den Körper überdauert, also das Leben eine Station eines größeren Weges sei. Ich wage noch nicht zu behaupten, ob dies richtig oder falsch sei. Die Vorstellung schenkt jedenfalls Vertrauen und Zuversicht für den unvermeidlichen Ausgang einer jeden Lebensgeschichte. Diese These ist jedenfalls Stoff für Science Fiction und könnte Inspiration für Stargates Goa’uld gewesen sein.

Mein Bild von der Seele

Wie oben angeführt denke ich, bei der Seele handelt es sich um einen Goa’uld. Okay, scherz. Ein parasitäres Lebewesen aus der Milchstraße entspricht nicht so ganz meiner Vorstellung. Im Tanach, der hebräischen Bibel der Juden, wird die Seele als den Körper belebende Kraft beschrieben. Die Seele aka Nefesch ist als der belebende Atem die Lebenskraft, die den Menschen beim Tode verlässt. Im Koran ließt man das Wort rūḥ – das Atem oder Wind bedeutet, den Gott Adam einbläst, um seinem Körper das Leben zu verleihen. Es wird als kognitive Qualität beschrieben, die Gott ausgewählten Geschöpfen verleiht. Christen verstehen die Auferstehung Jesu als „Wiederaufnehmen“ der zuvor „hingegebenen“ psyche (Evangelium nach Johannes). Wobei hier heute im Sinne einer ganzheitlichen Anthropologie Seele und Körper als Einheit betrachtet werden.
Der Atem bzw. Hauch oder Wind des Lebens zieht sich durch die Geschichte unserer großen Welten-Religionen.
Der Atem begleitet dich und mich Zeit unseres Lebens, es ist ein ständiger Puls der uns mit unserem Herz am Leben erhält. Es ist so simpel und doch kompliziert, wie alle schönen Wahrheiten dieser Welt wie ich sie wahrnehme.
 Die Seele ist der Puls des Lebens. 
Die Seele ist der Puls des Lebens. Alles, das atmet (oder assimiliert…) ist beseelt und lebendig.

Die Seele und die Spiritualität

Wir leben in einer Zeit, in der Spiritualität verhöhnt wird. Zurecht, da sie in vielen Gesinnungen missbraucht und verzerrt wurde. Und zu unrecht, da sie so etwas essentielles in uns ist, dass wir uns ohne sie nie ganz fühlen werden. Wir haben den Zugang und das rechte Maß schlicht irgendwo in den dunklen Zeiten der letzten Jahrhunderte verloren und haben uns in den Materialismus gestürzt. Philosophen von Heute wie Daniel Dennett sehen den Menschen recht nüchtern: „Ein bewußter menschlicher Geist ist mehr oder weniger eine seriale virtuelle Maschine, die − ineffizient − an der parallelen Hardware montiert ist, die die Evolution uns geliefert hat.“ Doch eben weil der Zugang (noch) zum nicht messbaren, nicht greifbaren ein so distanzierter ist, werden Begriffe wie Seele heute kaum mehr ernst genommen.
Der erste Trunk aus dem Becher der Naturwissenschaften macht atheistisch, aber auf dem Grund des Bechers wartet Gott. ~ Werner Heisenberg, Physiker und Nobelpreisträger
Ich glaube, wir haben die letzten hundert Jahre einen sehr großen Schluck Naturwissenschaften genommen und es ist nun die Zeit, diese mit subtileren Weisheiten zu verbinden. Vor allem die Quantenphysik und Neurologie werden uns hier bestimmt noch spannende Einblicke schenken. Wissenschaftler sind  eben nicht nur die nüchterne Realisten als die wir sie uns vorstellen, sondern oft auch kreative & spirituelle Künstler.

Die Weltenseele

Anima Mundi oder die Weltenseele beschreibt die Vorstellung der Entsprechung des Universum (oder jüngsten Thesen zufolge des Multiversum) mit dem einzelnen Lebenwesen. Das Universum ist als Makrokosmos analog zum Menschen, dem Mikrokosmos, sturkturiert. So wie sich jedes einzelne Lebewesen von seiner Einzelseele belebt vorstellt, so wird der Kosmos als lebendiger, beseelter Organismus aufgefasst. Jeremy Hayward, Kernphysiker und Molekularbiologe von der Universität Cambridge spielt mit seiner Überzeugung offenbar genau in diese Ecke:
„Manche durchaus noch der wissenschaftlichen Hauptströmung angehörende Wissenschaftler scheuen sich nicht mehr, offen zu sagen, dass das Bewusstsein neben Raum, Zeit, Materie und Energie eines der Grundelemente der Welt sein könnte“, versichert er.
Zusammenfassend kommt er zu dem Schluss, dass das menschliche Bewusstsein möglicherweise sogar grundlegender als Raum und Zeit sei.

Ein wissenschaftlicher Blickwinkel zur Seele und dem Leben nach dem Tod

Unweigerlich kommt man bei der Frage nach einer Seele natürlich auch daran zu fragen, was mit ihr passiert, wenn der Hauch des Lebens das letzte Mal ausatmet. Ich will mich hierzu auf einen der renommiertesten Quantenphysiker der Gegenwart, Professor Hans-Peter Dürr, ehemaliger Leiter des Max-Planck-Instituts für Physik in München, berufen:
„Was wir Diesseits nennen, ist im Grunde die Schlacke, die Materie, also das, was greifbar ist. Das Jenseits ist alles Übrige, die umfassende Wirklichkeit, das viel Größere. Insofern ist unser gegenwärtiges Leben bereits vom Jenseits umfangen.“ 
Der Wissenschaftler Christian Hellweg promovierte in Physik und Medizin am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen. Er erforschte die Hirnfunktionen intensiv und sieht die Erklärungen für dieses Jenseits in der Welt der Quantenphysik:
„Unsere Gedanken, unser Wille, Bewusstsein und Empfindungen weisen Eigenschaften auf, die als Merkmale des Geistigen bezeichnet werden können. Geistiges lässt keine direkte Wechselwirkung mit den bekannten naturwissenschaftlichen Grundkräften – wie Gravitation, Elektromagnetik etc. – erkennen. Auf der anderen Seite aber entsprechen diese Eigenschaften des Geistigen haargenau denjenigen Charakteristika, die die äußerst rätselhaften und wunderlichen Erscheinungen der Quantenwelt auszeichnen.“
Was die ältesten Yoga Texte über die Seele sagen Spulen wir noch einmal rund 2.500 Jahre zurück zum Ursprung des Yoga. Ähnlich dem Latein der Theologen hatten auch die yogischen Gelehrten eine eigene Sprache, um ihr Wissen weiterzugeben. Sanskrit. Das Wort Yoga kommt von yuj für  anjochen, zusammenbinden oder anschirren. Die Sprache ist sehr blumig und oft vielschichtig auslegbar. Für die Bedeutung des Wortes Yoga ist man sich jedoch relativ einig:
Erkenne das Selbst als den Herrn der Kutsche. Der Leib ist der Wagen, der Intellekt der Wagenlenker und das Denken die Zügel. Die Sinne sind die Pferde, die Objekte die Wege. ~ Katha Upanishade
Lass uns das noch einmal genauer unter die Lupe nehmen. Stell dir ein Wagengespann vor. Es besteht aus einem Lenker, Pferden, dem Wagen selbst sowie dem Geschirr, das alles verbindet. In diesem Bildnis steht der Wagen für den Körper, die Pferde für unsere Sinne, der Geist und dein Denken für die Zügel. Die unterschiedlichen Bestandteile des Wagens werden mit den Werkzeugen des Menschen gleichgesetzt. Alles klar soweit? – Spätestens jetzt kommen wir zu einem Bereich, wo durch die vielfältigen Übersetzungsmöglichkeiten der indischen Gelehrtensprache mehr als nur eine Definition des Yoga entsteht. Der Yoga Saal – ob nun virtuell oder physisch – wird hier nicht selten zum Schlachtfeld. Jeder hat seine Meinung und wie bereits klar erforscht ist, geht jeder davon aus, dass seine Meinung der absoluten Wahrheit entspricht. Mit friedlichen Absichten wage ich mich nun einmal auf dieses Schlachtfeld, auf dem viele glauben, sie allein praktizieren das einzig wahre Yoga. Ob man Yoga praktiziert, weiß glücklicherweise immer nur der Übende selbst. Welche Kriege in uns während der Yogapraxis toben, bleibt unser wohl behütetes Geheimnis. ~ Nancy Krüger, Yogalehrerin in Wien Zurück zur Metapher des Wagens: Wenn alle Beteiligten harmonieren, wird das gesamte Gespann harmonieren. Yoga ist ein Mittel, diese Harmonie herzustellen. Yoga bedeutet Einheit herzustellen. Und genau hier kommt meiner Vermutung nach die Seele ins Spiel. Sie liegt in vielen von uns unter zig Schichten begraben. Ist längst vergessen, und doch nicht minder präsent.

Samadhi

Wir sind alle in diesem Wagen, hier und jetzt auf unserem Weg und dabei, diese Schichten abzulegen. Den Körper gesund zu halten, den springenden Affen im eigenen Köpfchen zu zähmen und unser Bestes zu geben. Alles andere wäre Vergeudung. Und manche von uns finden auf diesem Weg vielleicht Samadhi. Wer es gefunden hat, fasst die Erfahrung nicht in einen kurzen, klaren Satz. All die Meister, Roshis und Co. sprechen wenn überhaupt in kryptischer oder blumiger Sprache davon.
Der Mensch ist schwer zu entdecken und sich selber noch am Schwersten: Oft lügt der Geist über die Seele. ~ Friedrich Nietzsche
In vielen Texten und Interviews wird Samadhi mit Einssein und Erkenntnis gleich gestellt. Diese Wahrheit steckt in jedem von uns. Die Herausforderung ist vielmehr, sie unter den mannigfachen Schichten zu finden, unter denen es vergraben ist. Niemand kann den Weg für einen gehen, die Antworten muss jeder für sich finden. Es ist eine Sehnsucht, das Wissen darum, dass noch ein Schatz zu heben ist, das auf Kurs hält. Zum besten Bestreben, auch wenn das Wagengespann aus dem Ruder läuft (und das passiert wohl nicht selten). Keep rolling and enjoy the fucking ride!